Die Zaunkönigin

Es war einmal eine Königin, die regierte eine kleine Stadt, welche idyllisch an einem Fluss gelegen war. Die Einwohner der Stadt feierten gerne. Sie feierten an jeder Ecke in der Stadt, am Ufer des Flusses, am Marktplatz, auf den Straßen. Wenn sie nicht gerade feierten, ruhten sie sich aus — ebenfalls in der ganzen Stadt. Im Sommer saßen sie am Ufer und ließen sich den leckeren Wein schmecken.

Nun sprach die Herrscherin eines Tages: „Lasst uns einen Radweg am Fluss entlang bauen. Und damit niemand beim Radfahren in den Fluss fällt, bauen wir auch einen Zaun an das Ufer. Die Sicherheit meiner Untertanen ist mir wichtig!“ Ihre Berater stimmten ihr zu, und so wurde der Zaun gebaut.
Und wiederum sprach die Herrscherin: „Es führen viele Radwege durch die Stadt. Auch dort könnte ein Radfahrer auf die Straße fallen und sich verletzen. Lasst uns die ganzen Radwege einzäunen. Die Sicherheit meiner Untertanen ist mir wichtig!“ Und so wurden in der ganzen Stadt Zäune zwischen Radweg und Straße gezogen.
Dann sprach die Königin: „Wenn ein Fest auf dem Markt ist, dann könnte es sein, dass jemand in seiner Ausgelassenheit vor dir Straßenbahn fällt. Lasst uns auch dort und überall, wo die Straßenbahn fährt, einen Zaun bauen. Die Sicherheit meiner Untertanen ist mir wichtig!“ Und so wurde auch der Marktplatz und die Straßenbahnschienen eingezäunt.
Die Herrscherin sprach wieder: „Meine Untertanen sprechen gerne dem Rebensaft zu. Ich habe Angst, dass sie berauscht auf die Straßen fallen. Lasst an allen Straßen Zäune errichten. Die Sicherheit meiner Untertanen ist mir wichtig!“ Und so würden alle Straßen eingezäunt.
Zuletzt sprach die Herrscherin: „Noch immer habe ich Sorgen um die Sicherheit meiner Bürger. Ihnen kann überall etwas passieren. Lasst um jedes Haus, am besten um jede Wohnung, jeden Platz, jeden Baum und jeden Strauch einen Zaun errichten. Die Sicherheit meiner Untertanen ist mir wichtig!“ Ihr Berater stimmten auch hier wieder zu und die Zäune wurden aufgestellt.

Nachdem sie all das gesprochen hatte, ging die Königin hinaus auf die Straße, um sich an der nun sicheren Stadt und ihren wohlbehüteten Untertanen zu erfreuen. Doch draußen sah sie nur Zäune. Die Häuser waren kaum zu erkennen, weil so viele Gitter vor ihnen standen, das Grau der Zäune überdeckte die sonst so bunten Farben. Die wenigen Menschen, die noch in den Straßen umhergingen, kamen nur schwer voran, da sie ständig um Zäune herumgehen mussten. Die Untertanen riefen zu der Herrscherin auf der Straße: „Sie nur, was du angerichtet hast. Nichts kann uns nun passieren, aber wir sind eingesperrt. Sicherheit gegen Freiheit, Enge statt Schönheit — das ist kein guter Tausch!“
Da erkannte die Königin, was sie angerichtet hatte und weinte bitterlich. Noch am selben Tag ließ sie die Zäune abreißen und die Stadt fand wieder zu ihrem bunten Treiben zurück. Die Menschen setzten sich wieder an die Ufer des Flusses und entspannten sich bei dem gitterlosen Blick auf den Sonnenuntergang über der Stadt.

15 Gedanken zu „Die Zaunkönigin“

  1. Herrlich, wie Sie es auf Ihrer Internetseite immer wieder schaffen, Stellung zu lokalen Themen zu beziehen, ohne beleidigend oder plump zu werden, immer mit einem Augenzwinkern. Ich lese den Würzblog trotz meines hohen Alters – ich bin schon über 60 – immer wieder gerne und möchte Sie ermutigen: machen Sie weiter so!

    Mit freundlichen Grüßen,
    Hildegard

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  2. ich glaube ja, es geht in wirklichkeit gar nicht um einen radweg sondern darum, nicht mehr am main sitzen und bier/wein trinken zu können. das stinkt der pia und den anderen nämlich gewaltig, ist halt so eine art „unordnung“ für die, schlecht fürs stadtbild und so…

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  3. Straßenbahn einzäunen? Wie soll man dann z.B. vom Kaufhof in den Müller wechseln? Ewig weit gehen? Oder sollen auch Brücken gebaut werden? oder gar Tore mit Pförtnern die das Überschreiten der Gleise kontrollieren?

    Je nachdem wie nah die Zäune an die Gleise dran kommen bringt das ja auch Risiken mit sich, man stelle sich vor jemand ist in dem Bereich zwischen den Zäunen und von beiden Seiten kommen Straßenbahnen (was ja vor kommt)… okay das ist makaber, aber denkbar 🙂

    Oder soll es einen Sicherheits bzw. Rettungsabstand geben?

    Möglichkeiten gäbe es ja noch viele andere, teurere… U-Bahn, Hochbahn, Teleporter (in ein paar Jahrhunderten?!), ….

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  4. Ralf! Dein Arzt hat Dir doch verboten, weiterhin Froschpillen zu nehmen! 😉 😉

    Schöne Geschichte… 🙂

    Aber die Einzäunung der Straßenbahnschienen find ich persönlich garnicht so falsch. Das war ja auch schon länger in Planung.

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  5. Nachdem nun alle Zäune niedergerissen waren, hatten die Bürger aber kein Geld mehr, um zu feiern, da die Königin den Zehnt erhöhte, denn ihr Geldsäckel ward ob der großen Zaunkosten so leer geworden..
    :))

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  6. „Im August des vergangenen Jahres beschloss der Ferienausschuss des Stadtrates, auf dem Kranenkai einen Radweg entlang zu führen. Ein Zaun mit eng gesetzten Stäben, inklusive Mauer 1,20 Meter hoch, solle Radler und Fußgänger vorm Sturz in den Main bewahren.“ (Mainpost)

    70000€ soll das Teil kosten, der Bau ist im Moment aber gestoppt worden. Jetzt soll das Thema im Stadtrat neu beraten werden. Hätte man vielleicht vorher machen sollen … 😉

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