Provinz auf … ach nö, nicht schooon wieder

Als Stadtblogger hat man es nicht leicht. Das Blog wird direkt mit der Stadt in Verbindung gebracht und ich mit dem Blog. So durfte ich mir bei der re:publica in Berlin dazu gratulieren lassen, dass ich endlich mal einen Kaffee auf Weltniveau trinken darf. Oder ich werde mit den Worten „Ah, die Provinz ist endlich in der Weltstadt“ begrüßt. Dem unwissenden Gesprächspartner darf ich ernsthaft erklären, dass es in Würzburg UMTS-Empfang gibt.

Ja, der Entwurf des Slogans für Würzburg „Provinz auf Weltniveau“ ist schon in Deutschland angekommen, zumindest in der Web2.0-Gesellschaft.  Und ja, man spricht über Würzburg. Aber wohl nicht so, wie es sich die Erfinder vorgestellt haben — zumindest hoffe ich, dass sie das nicht wollten, nämlich Würzburg zu einer Stadt abstempeln, in der man dankbar sein darf, dass man endlich fließend Wasser aus dem Hahn hat.

Nach einer längeren Pause ist die Diskussion um diesen Slogan wieder aufgeflammt. Bei einem Treffen der Insolvenzverwalter-Wirtschaftsschule des BFB-Business-Campus wurde — laut Mainpost — der Spruch abgewatscht. Ex-MDL Manfred Ach gibt an, dass für Wirtschaftsvertreter des Campus „der Slogan inakzeptabel, sogar das Wort geschäftsschädigend sei“. Ob ich die Drohung, einen „Lenkungskreis“ unter seiner Moderation einzurichten, die den Prozess steuert, gutheißen soll? Man kann schlimme Dinge immer noch schlimmer machen, zur Not mit Hilfe eines Ausschusses und Politikern.

Die Würzburg AG, die den Slogan als Vorschlag eingebracht hat, reagiert, obwohl sie schon vor langer Zeit erkannt hat, das der Slogan polarisiert, auf die Kritik mit der üblichen Befremdung und setzt auf das Prinzip des kleinsten Übels

Man befinde sich mitten in einem Prozess und sei seitens der Würzburg AG offen für alle Verbesserungsvorschläge, nur „bis heute ist noch nichts besseres gekommen.“ (Mainpost)

Ich muss aber gestehen, ich bin etwas diskussions- und verbesserungsmüde geworden. Ich reagiere auf den Slogan negativ, ich finde mich als Würzburger darin nicht wieder, halte ihn für unpassend und für keine Werbung für die Stadt. Das ist einfach so, ich reflektieren nicht über jede Werbebotschaft, die mir in die Augen knallt. Wenn ich und andere, die den Spruch ähnlich wie ich aufnehmen, dann aber immer hören müssen, dass ich das Konzept nicht verstanden habe oder kenne, der Slogan nur mit den Bildmotiven funktioniert, dass ich mit meiner negativen Deutung des Begriffs „Provinz“ allein bin, dass ich Wortchirurgie betreibe — dann habe ich keine große Lust auf eine Diskussion.

Aber kann es mir nicht auch egal sein? Noch ist ja alles im Entwurfsstadium, ob er von der Stadt wirklich übernommen wird, ist noch offen. Und ob es bei diesem Slogan bleiben wird, auch.
Kann man nicht eine völlig offene Lösung anstreben? Soll und muss das über die Stadt und assoziierte Organisationen laufen? Kann und sollte man nicht eine „Open-Source-Lösung“ anstreben? Eine Website einrichten, jeder kann Slogans, Logos, Werbebilder, Werbefilme hochladen, man kann sie bewerten, darüber abstimmen und dann kann sich eine — oder sogar mehrere? — Lösung herauskristallisieren. Diese unter einer Creative-Commons-Lizenz, jeder darf sie nutzen oder auch verändern — und fertig ist der Lack. Ja, ich weiß, das hört sich nach einem Web2.0-Ideal an — aber vielleicht lohnt es sich mal, die Idee zu durchdenken.

21 Gedanken zu „Provinz auf … ach nö, nicht schooon wieder“

  1. Langsam wird es etwas bizarr und am Ende stehen sich zwei Würzburger Agenturen gegenüber, die einen ewigen Revierkampf auf Teufels-PR komm raus ausfechten.

    Da kann man sich fast einen „basisdemokratischen“ Entscheidungsprozess herbeisehen. (Obwohl da wahrscheinlich auch ort wieder 98,2% der Bürger nicht eingeschlossen werden, weil man sich aufs webzwonull konzentriert, wo ist die gute alte Bürgerversammlung mit Brüllrecht auf dem Markt?) Bin jedenfalls sehr gespannt, wie konsequent das am Ende umgesetzt wird. Eine Schlichtung oder gar Versöhnung und Zusammenführung im Sinne Würzburgs sehe ich allerdings nicht.

    So oder so, ich war schon immer der Meinung, und das habe ich dir Dieter ja auch schon gesagt, die echten Stories generiert man ganz anders. Außerhalb von Kommunikationsblasen, im echten Offline-Leben, mitten in Würburg – für Würzburg und seine Einwohner.

    Die eine oder andere Kultureinrichtung retten, Angebote für Jugendliche oder Senioren schaffen. Soziale Projekte anstoßen, das Stadtbild verschönern, Probleme  anpacken. Das alles sind Taten, die für sich sprechen würden, da wäre es völlig wurscht welcher Slogan das dann begeleitet. Ich glaube es geht den meisten Würzburgern nicht um die falsch gewählten Worte, sondern um die ausbleibenden Taten.

    Just my2cents.

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  2. Ich habe mir gerade den Gerryland Blog angesehen mit derem Slogen. Ich muss sagen, mit diesem kann ich mich sogar als Würzburger identifizieren.  Beim ersten Lesen gleich ein positives Gefühl im Bauch. Zwar wäre mir eine stärkere Ausrichtung auf 3 Ws anstatt auf 4 Ws lieber, doch alles kann man wohl auch nicht haben.

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  3. .. ist die ganze Sache nicht bald irgendwie…durch..? Ich sag mal so:
    Egal, wo ich von dem Slogan erzählt hab, gab es Gelächter… und ich halte es da mit Ralf : Wenn man immer darauf hingewiesen wird, das man es nur nicht versteht, und die Bildmotive dazu sehen muss und der Einzige auf der Welt ist, für den der Begriff „Provinz“ negativ klingt, weil das nämlich eigentlich ein total supertoller Positivbegriff ..BlaBlaBla….
    Wenn was derart lange diskutiert wird – ist es doch eigentlich schon totgeredet.
    Oder nüscht? Und auch Wibbel – nur weil man keinen anderen Slogan anbieten kann – macht das den jetzigen Slogan nicht besser – hat recht.

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  4. @Ralf: o.k. Aber zu Stuttgart fällt mir persönlich nur wenig bis gar nichts ein. Das ist für mich das Hannover des Südens… Na ja, wie immer Geschmacksache. Ich genieße jetzt den Frühling in meiner Heimatstadt Würzburg. Ihnen auch schöne Ostern.

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  5. @dieter schneider: Die re:publica war in zwar Berlin, aber ich habe auch — oder vor allem — mit Nicht-Berlinern geredet. Einer der Spötter war definitiv aus Stuttgart. Das mit dem Kaffee war klar Ironie, aber Würzburg hat jetzt nun mal — für die, die den Sloganentwurf kennen — diesen Ruf. Und das UMTS-Gespräch war schon ernst gemeint, es ging aber speziell um die Flächendeckung.

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  6. Ich lebe und arbeite 1/3 des Jahres in Berlin. Viele Berliner sind der Meinung, dass sie in einem großen Dorf leben. Der Inhaber vom Café Einstein unter den Linden, Gerald Uhlig, sagt zu Berlin: „Provinz ist im Kopf und nicht auf der Landkarte“. Für  mich ist Berlin die einzige Metropole, die es in Deutschland gibt. Aber darüber kann man streiten. Und wenn mich eine Berliner Schnautze fragt, ob ich aus der Provinz komme, dann ist das der Beginn eines wunderbaren Gesprächs. Solche Ortsbestimmung bieten eine schöne Gelegenheit die Vorteile Würzburgs zu kommunizieren. Hat ernsthaft jemand geglaubt in Würzburg gäbe es keinen Kaffee oder keinen UMTS-Empfang, wie arrogant klingt das denn? Schätze mal das war ironisch gemeint. Der Berliner zieht übrigens den Slogan „arm aber sexy“ dem offiziellen „be berlin“ vor. Ironie kann die Tür für gute Kommunikation sein. Würzburg ist keine Metropole und Barlin is ooch keen Doorf;-)

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  7. Herr Schneider, wie gesagt und das meine ich auch so: Ich lasse mich gerne positiv überraschen. Falls diese Plattform aber nur zur Diskussion über den Slogan oder das Konzept dient, dann hat das mit „Open-Source-Prinzip“ überhaupt gar nichts zu tun. Von Open-Source bzw. Open-Content erwarte ich, wie Ralf schon schrieb, dass ich alles – Texte, Bilder, Videos, Ton, etc. – was im Rahmen der Kampagne erarbeitet wird, verwenden und weiterberabeiten kann und darf. Ich müsste mit dem Material meine eigene Würzburg-Werbekampagne starten und erarbeiten dürfen. Wenn das nicht der Fall sein sollte, dann sollten Sie jetzt dem Würzblog schon eine vierstellige Summe anbieten, damit er den oben stehenden Kommentar löscht. 😉 Denn dann hätte es mit der Open-Source-Idee nicht das Geringste zu tun. Aber auch überhaupt nichts.
    Ich möchte Ihre Bemühungen aber nicht schon im Vorfeld schlechtreden und entschuldige mich auch für die vorauseilende Kritik. Ich werde hier auch Abbitte leisten, falls sie meine misstrauischen Bedenken ausräumen werden und wünsche Ihnen trotz allem viel Erfolg!

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  8. @vendredi und Ralf: Die Erkenntnis, dass der Slogan nicht einmal den Nerv der Würzburger zu treffen scheint (fast jeder schüttelt den Kopf), sollte bei aller Überzeugung vom eigenen Produkt auch irgendwann zum Einsehen führen, dass das nicht der große Wurf war. Mir scheint so, als müsste dieser Slogan jetzt auf Teufel komm raus druchgedrückt werden.

    Wenn ich das richtig verstanden habe, wird auf der offenen Plattform auch nicht am Slogan selbst gewerkelt, sondern nur am Konzept, wie man das vermarktet. Ich lasse mich aber gerne eines Besseres belehren, wenn auf dieser Plattform auch der Slogan selbst zur Disposition steht.

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  9. Sehr guter Kommentar, Ralf. Ich glaube weder dass sich die WüAG noch Buena la vista die Butter vom Brot nehmen lassen noch dass sie wissen, was Open-Source bzw. Open-Content bedeuten würden. Es ist einfach ein schönes Etikett für sie, klingt nach Bürgerbeteiligung. Ich lasse mich aber sehr gerne positiv überraschen!!!

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  10. @dieter schneider: Alle Inhalte werden frei verfügbar und nutzbar sein? Alle Bild-, Text- und Videoquellen sind frei und beliebig verwendbar? Super, das wird toll und daran beteilige ich mich gerne.

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  11. Der Hinweis auf Open Source gibt mir das Stichwort für folgende Information:
    Wir, die Würzburg AG, werden im nächsten Schritt das Strategiepapier mit einer Dokumentation der öffentlich geführten Diskussion als Briefing auf eine Internetplattform geben. Hier wird noch ein abschließendes Gespräch nach Ostern geführt. Der Prozess folgt dann dem Open Source-Prinzip und wird webzweinullig. Wenn der Würzblog und seine Kommentatoren diesen Prozess konstruktiv begleiten wollen, würde uns das nicht nur freuen sondern auch helfen. Danke für den Hinweis.

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  12. @Ralf:
    Richtig. Es wäre ja auch Unfug wenn Herr Schneider jetzt sagen würde „stimmt. Der Slogan ist ja Quatsch!“. Er muss dahinter stehen und das tut er. Aber natürlich sollte man halt auch mal einsehen, dass er nun einmal nicht gut ankommt.

    @Alex: Naja, ein Eigenlob kann ich darin nicht sehen sonder fast schon eine Spur Selbstironie. Ich fand das war seit langem mal wieder ein sympathischer Beitrag zu diesem Thema im buenalog.

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  13. @alex: Ich habe gar nichts dagegen, dass Herr Schneider von dem Slogan persönlich überzeugt ist. Aber als „Marketingleiter“(?) der Kampagne sollte er sich der puren Möglichkeit nicht verschließen, dass der Slogan unter Umständen eventuell bei einem Großteil der Würzburger vielleicht nicht unbedingt wirklich gut ankommen könnte. Und ebenso vielleicht erkennen diese Würzburger einfach das tiefe und geniale Potenzial des Slogans nicht, vielleicht sind sie Korinthenkacker und humorlose Möchtegerngroßstäder — aber das wäre dann einfach so. Punkt. Muss man mit leben.

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  14. Volle Zustimmung!!! Die WüAG soll sich mal entscheiden was sie will. Entweder die die Diskussion und die Meinungen der Bürger oder nicht. Dann soll sie sie aber auch ernst nehmen und diese auch stehen lassen können. Meine Meinung ist auch, dass der Spruch furchtbar unpassend ist. Ich habe aber keinen besseren Vorschlag, was den Slogan aber nicht besser macht!!! Und ich behaupte, dass die Mehrheit der Würzburger den Spruch einfach schlecht findet und ich verstehe nicht, daß die WüAG nicht einfach sagt, ok, dann lassen wir davon ab und suchen uns etwas anderes. Aber dieses Gebetmühlenartige Schönreden macht mich kirre!!! Ich bin bitter enttäuscht von der WüAG. Weniger wegen dem Slogan per se als wegen der Art und Weise der Diskussion, obwohl sie das paradoxerweise den Diskutanten vorwerfen. Unglaublich! Erst stolz darauf sein, dass der Slogan polarisiert und dann mit den Konsequnzen nicht umgehen können. Buena la vista halte ich für eine gute Werbeagentur, aber mit dieser Aktion haben sie sich ein Ei gelegt. Frohe Ostern!

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  15. Ja, ich bins auch leid da groß noch was zu sagen – meiner Meinung nach sollte man erstmal einiges an der Stadt machen um deren Attraktivität zu steigern, bevor man sich mit der Vermarktung befasst.
    Aber eines muss man der Agentur bzw. Herrn Schneider auch lassen – seinen Humor hat er behalten, wie man im aktuellen buenalog-Beitrag nachlesen kann 🙂
    Und zudem ist für die Stadt Würzburg bzw. für deren Vermarktung zu arbeiten glaub‘ ich so ziemlich die bitterste Aufgabe die man gestellt bekommen kann – beneiden tue ich die Agentur jedenfalls nicht.

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