Offen, ganz offen zu einer Marketingkampagne

Und wieder eine Pressekonferenz. Diesmal im Weinkeller der Residenz. Eingeladen hat die Würzburg AG, um der Presse — und mir — den weiteren Weg zu einer Stadtmarketingkampagne zu zeigen.

Die Würzburg AG hat im letzten Jahr den Slogan „Würzburg. Provinz auf Weltniveau“ auf die Stadt losgelassen. Sie sieht dieses „Loslassen“ heute als Erfolg, denn sie wollten nur die Diskussion um ein Stadtprofil anstoßen. Angeblich, auch wenn ich nach wie vor da meine Zweifel habe. Denn dann wäre das vehemente Verteidigen des Slogans ja wohl auch nur ein medienpädagogische und -taktische Maßnahme gewesen, klar.

Aber egal. Sie will nun in einem „offenen Prozess“ Ideen für eine Marketingkampagne entwickeln lassen. Bei der Ideenplattform jovoto.de werden in den nächsten Wochen viele dort angemeldete Nutzer kreativ tätig werden und Vorschläge bringen. Vorgaben gibt es relativ wenig, selbst der bestehende Sloganentwurf darf verworfen werden. Angestrebt soll eine 360°-Kampgane werden, was nicht mit sich-im-Kreis-drehen zu tun hat, sondern eine medienübergreifende Kampagne meint. Insgesamt sind für den Wettbewerb bei jovoto.de 5000€ Preisgelder vorgesehen, für jede Kampagnenidee, die die Würzburg AG später verwenden will, muss sie 2500 € an jovoto.de zahlen. Und das finanziell auch zu stemmen, haben sich S.Oliver und Vogel Business Media als Partner und Sponsoren angeschlossen.

Einer oder mehrere Ideen will die Würzburg AG dann versuchen dem Stadtrat vorzulegen. Ob und welche Kampagne der Stadtrat dann nehmen wird, das wird man sehen.

Eigentlich verbietet sich Kritik an diesem Verfahren fast schon, denn die Würzburg AG ist nicht die Stadt Würzburg, sondern ein eigenständiges Unternehmen — eine gemeinnützige Aktiengesellschaft — und kann somit machen was sie will. Es ist ihr Geld.

Aber ein paar Anmerkungen seien mir doch erlaubt.

Bei der Pressekonferenz ist ganz oft das Wort „offen“ oder „open“ gefallen. Mir zu oft, denn so offen ist das Verfahren nicht.
Er erste Punkt, wo ich bei Lesen schon Pickel bekommen habe, ist, dass der Wettbewerb nach dem Open-Source-Prinzip arbeitet. Open Source würde aber heißen, jeder darf alles verwenden, berarbeiten, neu verwursteln. Das wird aber nicht so sein. Die Würzburg AG wird die ausschließlichen Nutzungsrechte an den Ideen haben und man wird nicht einfach ein evtl. entstandenes Logo für seine Zwecke umändern und veröffentlichen dürfen. Was grundsätzlich nicht verwerflich ist, aber dann sollte man das Mäntelchen „Open Source“ im Schrank lassen.

Und dann der „offene Prozess“. Offen heißt für mich offen. Offen für alle. Ich habe jetzt nicht ganz kapiert, ob sich bei jovoto.de jeder anmelden darf, aber heute bei der Pressekonferenz hat man durchblicken lassen, dass man da eigentlich nur die „professionellen Kreativen“ im Boot haben will nur nicht den Zuckerrübenbauer aus dem Ochsenfurter Gau. Naja, wer sich berufen fühlt, kann sich unter http://jovoto.de/signup/wuerzburg mal anmelden und schauen was passiert, der Link stand in der Pressemitteilung und darum darf ich ihn wohl auch veröffentlichen. Ich würde den Prozess darum eher „erweitert“ nennen. Die Bürger der Region sollen aber auf den Würzburg AG-Seiten über den Stand der Dinge informiert werden und man soll wohl auch die Arbeiten kommentieren können. Aber eine unmittelbare Beteiligung ist für die ganz breite Masse wohl nicht vorgesehen bzw. wohl nicht erwünscht.

Ich bin gespannt, was bei der jovoto-Aktion herauskommen wird. Vielleicht ja etwas wirklich Gutes. Vielleicht auch nicht. Wie dann die Stadt diesen Kampagnenvorschlag aufnehmen wird, ob die Stadt eine große Marketingkampagne überhaupt finanzieren kann — es wurde von einem locker sechsstelligen Betrag gesprochen — das alles steht auf einem ganz anderen Blatt. Und ob Gegenvorschläge aus ganz anderen Ecken kommen werden, auch.

Dankbar bin ich der Würzburg AG auf jeden Fall für ein neues geflügeltes Wort in der Stadt. Wenn der Stadtrat mal Mist baut — mit einem hingefluchten „Provinz auf Weltniveau“ geht es einem gleich wieder viel besser.

18 Gedanken zu „Offen, ganz offen zu einer Marketingkampagne“

  1. @ sushi.
    Eben.
    Ich habe  neulich  einen ganz guten Artikel der Zeitschrift „Page „zum Thema gefunden.
    Hier ein Ausschnitt:

    ….
    „Die Unternehmen rechnen sich
    wahrscheinlich ökonomische Einspar-
    potenziale aus. Aber ob das auch ge-
    lingen wird?“, fragt sich Kerstin Ullrich.
    Wenn man lediglich unverbindliche,
    auf ein Projekt bezogene Zusammen-
    arbeit mit Kreativen anstrebe, bedeu-
    te dies auch, dass ein großer Teil der
    Markenführungsarbeit, den bisher im-
    mer die Agenturen übernommen hät-
    ten, wieder zurück in die Unternehmen
    verlagert werden müsse. „Ich halte da-
    rüber hinaus nichts von der eBayisie-
    rung der Geschäftsbeziehungen! Es ist
    eine öffentliche Auftrags-Versteige-
    rung. Geistige Arbeit, aber nicht nur
    solche, wird immer weniger wert, weil
    natürlich die Kreativen sich gegensei-
    tig runterpitchen……“

    Antworten
  2. @der Würzburger: genau so ist es. Dass Herr Schneider in dieses Horn stößt, kann ich überhaupt nicht nachvollziehen. Wenn jeder Kunde so beliebig(e) Kreativität sammeln würde, könnte man prophezeien: Buena la visa? Hasta la vista!
    Aber das kann man wahrscheinlich auch schönreden…

    Antworten
  3. „crowdsourcing“ nur  eine Modeerscheinung des Neoliberalismus, ähnlich wie das Phänomen der Leiharbeit.. All diese Kreationen  führen zu Lohndumping  und „working poor“…. 

    Antworten
  4. @Basti: Gründe gegen designenlassen.de: 1. Der Designer muss seine Rechte abgeben. 2. Es gibt keinen Abstimmungsprozess, denn der Kunde kann die Entwürfe ständig beurteilen und die Designer können nicht frei arbeiten. 3. Der Kunde legt die Preise fest, die weit unter dem nach Aufwand zu leistenden Betrag liegen. 4. Es geht um fertige Designs. Nicht um Ideen. 5. Ein Ideenfindungsprozess ist dort nicht möglich. Das alles bietet jovoto.com. Deshalb die Entscheidung. Es ging nicht um Berlin oder Nürnberg. Für die Entscheidung über eine Internetplattform ist der regionale Bezug m.E. nicht relevant.

    Antworten
  5. Jovoto mag ja ganz nett sein, aber es gibt doch auch ein Startup aus dem fränkischen, dass eine ähnliche Richtung eingeschlagen hat. Bei http://www.designenlassen.de aus Nürnberg gibt es mittlerweile eine sehr große Community aus begabten Designern und die Anzahl der Projekte dort kann sich ebenfalls sehen lassen. Würde mich mal interessieren, warum man sich nicht für das Unternehmen aus Franken entschieden hat, sondern für die Berliner.

    Antworten
  6. a propos weltniveau: weiss eigentlich jemand, was dran ist, dass barack obama als überraschungsgast beim africa festival da sein soll? ich hab das jetzt schon mehrmals gehört, kann mir das aber eigentlich nicht vorstellen.

    Antworten
  7. @ sushi: vollkommen richtig! da hätten die würzburg ag´ler ach so gern eine stimmige markenkampagne (wenn ich das richtig zwichen den zeilen interpretiert) habe, schaffen es aber nicht (…es könnt ja was kosten..) eine fähige agentur für MARKENFÜHRUNG zu finden (es gäbe schon welche, nur sind das halt keine kasper…) und dann wird halt so ein hirnsums a la jovoto.com hingestellt als wäre das die beste erfindung seit geschnittenem brot in tüten; ach würzburg…es reicht…

    Antworten
  8. Das wird ja immer schlimmer!
    Regional- und Destinationsmarketing ist ein komplexer strategischer Prozess, wenn er erfolgreich sein will. Da muss nicht nur ein mehr oder  möglichst weniger blöder Slogan gefunden werden und ein paar lustige Bildchen dazu für Anzeigen und Plakate. Das bedarf grundlegender Analysen im Vorfeld und stimmig aufeinander abgestimmter Kommunikationsmedien und -kanäle. 
    Wie auf der wag-Seite zu lesen ist, ist „Würzburg … die erste Stadt bzw. Stadtregion, die einen Kreativ-Contest auf jovoto.com durchführt.“
    Da sage ich nur: kein Wunder!

    Antworten
  9. Ein Detail habe ich übersehen:
    „die Würzburg AG ist nicht die Stadt Würzburg, sondern ein eigenständiges Unternehmen — eine gemeinnützige Aktiengesellschaft — und kann somit machen was sie will. Es ist ihr Geld.“
    Nein…gemeinnützige Organisationen können das eben nicht, sie sind ja schließlich auch steuerbefreit. Ob das in WÜ jemand kontrolliert, steht auf einem anderen Blatt. Allerdings besteht für mich daran auch kein begründeter Zweifel, das möchte ich betonen, mir gefiel nur die Formulierung nicht.

    Antworten
  10. @Dieter Schneider
    Nur professionelle Kreative sollen sich also beteiligen. Wen kann ich mir darunter vorstellen? Sind das Leute, die bei anderen Agenturen als der ihrigen angestellt sind oder gibt es so was wie „freie Texter“ und wann bin ich das überhaupt?
    Mal angenommen, da kommt einer ihrer Leute zu ihnen ins Büro und sagt „Hey Dieter, ich hab neulich mal 3 Stunden über Liebon nachgedacht, denn die suchen einen neuen Dorfslogan und die Agentur, die sie beauftragt haben, kriegts allein nicht auf die Reihe – jedenfalls hab ich jetzt 2000 € bekommen. Toll, was?“ – Ich sags mal so … man braucht schon einen ziemlich toleranten Chef. Oder ist das branchentypisch?

    Antworten
  11. Welche andere Bedeutung hat Open Source denn noch, wenn nicht Quelloffen?
    Also einfach mal nicht mit Buzzwörtern um sich werfen, sondern nachdenken.
    Oder geht das bei den Kreativen jetzt auf einmal nichtmehr?

    Antworten
  12. Danke für die Teilnahme an der PK und den Beitrag. Du hast Recht, dass der Begriff Open Souce, im Sinne von „Quelloffen“ nicht zutrifft. Im Gestaltungsprozess ist „quelloffen“ sensibel, weil die Urheberrechte des Gestalters zu schützen sind. Insofern bietet der Schritt auf eine funktionierende Kreativ-Plattform die größtmögliche Offenheit unter Kosten/Nutzen- und Fairness-Aspekten. In erster Linie sind die Kreativen aus Mainfranken angesprochen, denn die sind am nächsten am Thema. Allein die Technologie und die angeschlossene jovoto-Community bietet aus meiner Sicht eine Chance zur Ideenfindung bei gleichzeitiger (viralen) Kommunikation. Die Fokussierung auf die professionelle Berufsgruppe „Kreative, d.h. Texter, Grafiker, Konzeptioner, etc.“ ist bewusst gewählt. Was auch immer der Prozess bringen wird, eins wird er erreichen: Viele Menschen, werden sich mit unserer Stadt beschäftigen und auseinandersetzen, daraus Ideen entwickeln und sie veröffentlichen. Allein das ist ein Mehrwert. Ich freue mich darauf, die Diskussion mit Dir weiter zu führen.

    Antworten

Schreibe einen Kommentar