Alternate Reality

Würzburg in einer alternativen Wirklichkeit, 1720 A. D.

„Meister Neumann? Meister Balthasar Neumann?“

„Ja, der bin ich. Nennt mich Balthasar. Was kann ich für euch tun?“

„Ich bin der Abgesandte des Vereyns der Verschöhnerer Würtzburgs, des Vereyns „schon jetzt droht dem dereinst zu entstehnden gürtel aus grühn gefahr“ und der Initiativum „Stadtbild Würtzburg“ und habe mith euch zu sprechen.“

„Ahhh ja. Wenn ich mir es recht überlege, dann nennt mich doch lieber Meister Neumann. Stadtbild Würtzburg? Davon hab ich noch gar nicht gehört!?“

„Es ist eyne neue gründung“

„Noch ein Verein? Wozu das denn, es gibt hier doch schon genug! Naja! Und was wollt ihr von mir? Fasst euch kurz, ich muss Pläne für die neue Residenz zeichnen …“

„Genau deswegen bin ich hir! Euer baustil ist dem würtzburger bürger ein dorn im auge. neumodischer unbill aus fernen orten wie wien oder mailand. euer treiben stoert vnser wundervolles gotisches und romanisches stadtbild.“

„Und was ist mit der Renaissance?“

„Schon die war ein irrweg. aber solch liderliche fassaden wie ihr sie entsinnt werden wir eynhalt gebieten.“

„Aber der Barock ist modern! So baut man nun eben in ganz Europa. Die Gotik ist schon lange vorbei, Würzburg muss mit der Zeit gehen.“

„Was wisset ihr als Bychsenmacher schon von der archtekturerei? ich als baeckermeister habe schließlich schon viel mit meinen kumpanen bei schoppen von koestlichem frankenweyn darüber geredet. und sogar ein buch habe ich darüber gelesen. erzaehle er mir also nicht von der architekturerei!“

„Aber ich habe Meister Guarini gesprochen und studiert, ich habe hier in der Stadt bei Meister Greising gelernt. Mein ganzes Leben beschäftige ich mich mit der Architektur, sie ist meine Leidenschaft, ich würde dafür sterben.“

„Das waere eine Idee!“

„Was wäre eine Idee?“

„Sterben. Ihr könntet sterben. Eyn werk kann nichts taugen wenn der künstler noch lebet.“

„Hey, jetzt mal langsam. Ich habe doch noch gar nicht angefangen zu bauen.“

„Wehret den anfaengen!“

„Bitte was? Aber ich habe doch noch viel Gutes für die Stadt geplant. Mir schwebt da eine Kanalisation für die Stadt vor, damit die Fäkalien …“

„Wir haben von eurer unsel’gen idee gehört. Wenn Gott nicht gewollt hätte, daß wyr auf die straße scheißen, hätte er in seiner ewgen allmacht den dynndarm so lang erschaffen, daß er in den mayn reiche.“

„Was ist denn das für ein Gefasel. Außerdem ist der Fürstbischof auf meiner Seite.“

„Eure seyte ist die seyte der veraenderung vnd das gefallet dem wuertzburger volke nicht. Selbt wenn das volk den herrscher oder den rat der stadt waehlen dürfte.“

„Aber viel Bürger, mit denen ich gesprochen habe, finden den barocken Baustil gut. Die Wirtin im Gasthaus zum Falken überlegt auch schon, ob sie irgendwann …“

„Solche leut sint nur auf den schnellen Thaler aus. Die wirthin wuenschet eine neue fassade um mehr gaeste in ihre lokalytät zu lockigen. Nein, ich fürchte nur euer tod kann euch wuerdigung und der stadt ruhe verschaffen.“

„Aber das macht doch keine Sinn … he, legt die Pistole weg …“

„Es gehet uns nicht um sinn, es gehet uns um Würtzburg!“

PENG!

31 Gedanken zu „Alternate Reality“

  1. Pingback: Michael Reuter
  2. sorry, aber lustig? Hm, vielleicht hab ich nen guten Humor? Erinnert mich vom Stil her eher an Til Schweiger Geschlechterrollen „Komödien“ der letzten zwei Jahre (mit ein wenig mehr Fäkalhumor?)
    Nun, Stil ist Geschmacksache 😉
    Aber was wäre denn gewesen, wenn man 1945 entschieden hätte, den ausgebrannten Bau der Residenz einem „MODERNEN“ Kaufhaus samt Parkhaus weichen zu lassen? Oder „MODERNE“ Neubauten Uniklinik mit grossem Garten? Versuch doch dazu eine fiktive Konservation zu verfassen, bin mal gespannt. Ich masse mir das mal nicht an und entscheide im Falle einer Abstimmung einfach an der Urne.
    Das dumme ist, es gibt immer zwei Seiten, also doch besser echte Argumente ins Feld führen. als nur versuchen, die andere Meinung lächerlich zu machen..das sind Grundlagen einer kultivierten Diskussionsrhetorik und damit des fundierten Erfolgs. Die Sache erfordert dies.

    Antworten
  3. Vielen Dank für diesen Beitrag.
    Das trifft den Nagel (leider) auf den Kopf!

    Hoffentlich werden manche Würzburger mal endlich offener in ihrer Denkweise.
    Dieses ganze provinzielle Gefasel ist ja mittlerweile kaum noch auszuhalten!
    Und ganz nebenbei sind wir längst in zu vielen Bereichen von den „Industriestädten“ A’burg und Scheinfurt überholt worden. Neben Weltoffenheit (statt Weltniveau….) und Kultur auch insbesondere, was die wirtschaftliche Kraft einer Stadt angeht. Das vergessen wohl die meisten bei ihrer ganzen Motz-Klotz-Kotzerei.

    Antworten
  4. Naja, geiler Text, scho, aber irgendwie ist es auch ne Beleidigung für den guten Balthasar, ihn mit den in Würzburg sich am Werke befindlichen Durchschnittsarchitekten zu vergleichen. Außerdem: Die Residenz steht heute noch, einige Jahrhunderte später. Ich will den Büroturm stehen, dem Jahrhunderte gegönnt werden. Sobald die Abschreibungen rum sind und die erwartete Rendite eingesackt wurde, wird das Teil wieder abgerissen.

    Von daher stimmt die Aussage schon, nur die Metapher könnte ein wenig nachjustiert werden.

    Antworten
  5. Pingback: Wolfgang Jung
  6. einfach super geschrieben! 🙂

    und an der stelle möchte ich gleich mal wieder ein altes thema aufwärmen. wie sieht es denn mit der unterstützung/förderung des würzblogs aus? aus meiner sicht: ich möchte auf den blog nicht mehr verzichten, es hat mir vor fast 2 jahren den einstieg in würzburg sehr erleichtert. mit dem rundumschlag an themen ist es mit keinem medium in der stadt zu vergleichen. die offenenheit, die man hier spürt (ihr interessiert euch ohne scham für hoch- und tiefkultur) findet man selten in würzburg (die engstirnigkeit der einzelnen lager kenne ich aus meinen heimatstädten mannheim und berlin nicht in dem ausmass).
    du schreibt manchmal, dass du keine zeit für den blog hast weil du arbeiten musst um geld zu verdienen. das verstehe ich. ich hätte aber gerne mehr würzblog! kann man dir aus eigeninteresse nicht irgendwie finanziell unter die arme greifen? finden sich keine sponsoren? was ist mit dem thema werbung? es kann doch sein dass tausende den blog gut finden aber keiner es in irgendeiner form unterstützen will. und damit meine ich nicht arme studenten wie mich (die aber auch) sondern leute/firmen/organisationen die mal mehr als 10 euro locker machen können damit es auch einen effekt hat. ich kaufe mir jetzt auf jeden fall mal ein shirt im wuerzblog-shop und rufe alle leser zu einer großen unterstützungsaktion auf! es heißt nicht retter den würzblog sondern mehr würzblog! 🙂

    Antworten
  7. Pingback: Michael Väth
  8. Pingback: Patrick Wötzel
  9. Dem darf ich mich anschließen! Ich habe schon viele informative, witzige, nachdenkliche Einträge von gut bis brillant in diesem Blog gelesen und weiß, dass es auch viele Neider gibt. Und hier zeigt sich mal wieder die zumindest in dieser Stadt einzigartige Mediengenialität! Dank auch von meiner Seite!
    Ich hoffe, dass Ihr hervorragendes Engagement von der Stadt irgendwann
    gewürdigt wird.

    Antworten
  10. Bin schon seit langem treuer Leser des Würzblog und freue mich über viele gute Blog-Einträge. Dieser Eintrag ist aber so großartig, dass es mir ein Herzensbedürfnis ist, einmal laut HERZLICHEN DANK zu sagen.

    Antworten
  11. Pingback: Julia Roth
  12. Pingback: Kilian Martin

Schreibe einen Kommentar