Gedenken und Funzeln

Gestern war der Jahrestag der Bombardierung Würzburgs, und wie meistens war ich um 21.20 Uhr am Domvorplatz und habe während des Glockengeläuts, das so lang wie das Bombardement damals dauert, an die Opfer und die Zerstörung vor 65 Jahren gedacht.

Nicht dass ich in dieser Nacht Angehörige verloren hätte, meine familiären Wurzeln steckten damals noch tief in der Arnsteiner Ecke. Aber es macht mich jedes Mal traurig und entsetzt mich daran zu denken, dass in dieser Nacht innerhalb von fast 20 Minuten 90% der Innenstadt dem Erdboden gleichgemacht wurde und — noch viel, viel schlimmer — ungefähr 5000 Menschen ihr Leben verloren.
5000 Menschen, die Familie, Freunde, Nachbarn hatten. 5000 Menschen mit Wünschen, Plänen, Ideen. Das kann und darf nicht sein.
Und jedesmal am 16. März werden bei mir der Schrecken der Kriege, von denen ich nur in den Nachrichten aus weiter Ferne höre, ins Bewusstsein gerufen — dort passiert genau so das, an was wir gestern Abend gedacht haben.

In dieser Nacht im März 1945 ist meiner hobbypsychologischen Vermutung nach auch das Würzburger Trauma entstanden, die Stadt so historisch wie möglich zu gestalten. Hier wird an einem Würzburger Stadtbild festgeklammert, das in dieser Bombennacht unwiederbringlich verloren wurde. Das krampfhafte Verhindern neuerer Architektur ist für mich ein Hinweis, dass hier nach wie vor noch Trauerarbeit zu leisten ist.

Wenn ich mich über „moderne Zeiten“ aufregen will, dann gibt es was Besseres — die Medien. Gestern war am Domplatz ein Kamerateam, keine Ahnung von welchem Sender. Schlimm genug, dass man bei einer Gedenkveranstaltung unbedingt filmen muss, das gibt bestimmt auch wahnsinnig interessante Bilder. Aber dass man nachts unbedingt mit einer 50.000 Watt-Funzel auf der Kamera rumlaufen muss und selbst Leute wie mich, die 15 Meter von der Kamera entfernt standen, ins Gesicht blenden muss, da setzt bei mir jedes Verständnis aus. Sollen sie halt, wenn es zu dunkel ist, mit einer Thermokamera filmen, das sieht auch lustiger aus.

4 Gedanken zu „Gedenken und Funzeln“

  1. Gedenkenandenken: Kann ich mir vorstellen, dass Jupiterlampen einen stören. Anverwandte Frage: Hat heuer niemand privat fotografiert? Vor fünf Jahren hab ich beim gleichen Datum von der Brückenrampe runter in die Domstraße geschaut, in die rappelvolle, und alle paar Sekunden blitzte ein Fotoapparat auf, weil sich hunderte von Teilnehmern gegenseitig ablichten mussten: Ich beim Gedenken, schaut mal, war dabei.

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  2. 16. März: Gut geschrieben und traurig wahr. Das macht einem den Wahnsinn „Krieg“ jedes Jahr wieder auf neue bewusst und ganz nah.

    Traum: Absolut! Meine Freunde wollten die vielen Stadtbildinitiativen schon immer zur hstorisch-psychologischen Trauerberatung schicken.

    Kamera: Ohne in der Stadt gewesen zu sein würde ich aus der hohlen Hand auf TVTouring tippen, die sind gerne mal unsensibel. Wer immer es war: Kann Nicht Sein!

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