Das Kartenhaus

Es ist und bleibt eines der letzten Abenteuer der Menschheit, eine Extremsportart, eine Herausforderung für Geist und Körper — der Kartenkauf beim Filmwochenende. Na gut, das ist schon etwas übertrieben, aber ein wenig Adrenalin durfte ich gestern schon auf dem Weg zu meinen Karten verschüttet haben.

Sechs Minuten hat es am Mittwoch angeblich gedauert, bis die ersten tausend Tickets reserviert waren. Dementsprechend dürftig sah es gestern für Nachzügler wie mich aus, die meisten Filme warnen schon wegreserviert. Also nix mit Plan A. Aber was braucht der Mensch schon Reservierungen. Punkt 14 Uhr habe ich mich darum direkt auf den Online-Ticket-Verkauf gestürzt, der da gerade begann. Die Mausbewegungen habe ich die Nacht zuvor über direkt in mein Muskelgedächtnis hineintrainiert, um keine Zeit zu verlieren:

Donnerstag, Klick, „Time of EVE„, Klick, eine Karte, Zurück, „Sparschwein„, Klick, eine Karte, „Kurzfilmblock 1„, Klick, eine Karte, Freitag, Klick, „Kurzfilmblock 2„, Klick, eine Karte, Sonntag, Klick, „Stummfilm-Matinee„, Klick, eine Karte, Klick, zweite Karte, Warenkorb, Klick, Vorname, Tipptipp, Nachname, Tipptipp, E-Mail-Adresse, Tipptipp, Checkbox, Klick, Checkbox, Klick, Bezahlen …. Fehlermeldung? #CommitTransaction? Failed Dingsbums? Och nöööö ….

Ich bin viel zu lange privat und beruflich im IT-Bereich unterwegs, um mich ernsthaft über so einen Fehler zu ärgern. Fehler tauchen da immer wieder auf und bei einem System, dass nur für ein paar Tage mal im Jahr live geht und ehrenamtlich gepflegt wird, erst recht.

Nach ein paar vergeblichen Wiederholungen gab ich auf und ging einfach zu Plan C über. Möglichst zeitig Feierabend machen und ab zum Bürgerbräu-Gelände und die Karten vor Ort kaufen. Manchmal hilft nur physische Präsenz.

Das dachten sich die anderen 90 Leute in der Schlange vor mir auch, die sich durch die Maschinenhalle … nun, wirklich in Schlangenlinien schlängelte. Ich stehe ja eigentlich gar nicht gern Schlange. Aber beim Filmwochenende hat das immer irgendwie was. Man hat Zeit zum Gucken, nickt ein paar Bekannten zu, quatscht kurz mit Freunden, die vorbeigehen, oder Unbekannten, die in der Schlangenwindung neben einem stehen. Man hat Zeit, im Kopf die Kartenbestellung durchzugehen — die gleiche wie bei der Online-Bestellung, nur dass das „Klick“ stumm gesprochen wird.

Das Bürgerbräu-Gelände hat nachts schon was.

Es war auch der beste Zeitpunkt, um Karten vor Ort zu kaufen. Ironie, nein, natürlich war es das genau nicht, um 16.50 Uhr. Die ersten Filme liefen gleich an und manche Schlangenmenschen hatten Schweiß auf der Stirn ob der Vorstellung, dass ihre am Tag zuvor hart erklickte Reservierung durch die Halbe-Stunde-vor-Vorstellungsbeginn-abholen-Regel zu Ticketstaub zerfällt. Diese etwas gedrängten Menschen mischten sich mit denen, die einfach Karten kaufen wollten. Oder sich an der Kasse erst mal über die Filme informieren ließen. Und dann gut überlegten. Und danach Fragen stellten. Ist der Film lustig? Fließt viel Blut? Habt ihr nach dem gestrigen Tag was Unpolitisches? Hat der Untertitel? Spielt da nicht der eine Schauspieler mit? Nein, der andere. Moment, jetzt ruft mich gerade mein Kind an. Was man halt so in aller Ruhe macht, wenn 89 Menschen hinter dir in der Schlange stehen.

Aber irgendwann kam auch ich an die Reihe, nach etwa 40 Minuten. „Time of EVE“ beginnt in zehn Minuten und ich muss noch zum Siebold-Museum laufen. Und hier muss ich mal die lieben Menschen an den Kassen hochleben lassen. Die ganzen Jahre hatte da ich immer freundliche und sogar lustige Ehrenamtliche gegenüber. Und auch das macht die Stimmung beim Filmwochenende mit aus. Hannah, hieß meine Kassiererin — glaube ich zumindest –, die mich gut gelaunt und charmant durch meinen Kartenkauf führte. Wir tanzten förmlich durch meine Wunschliste und tatsächlich — bis auf „Sparschwein“ an diesem Abend bekam ich alle Tickets, die ich wollte. Für „Sparschwein“ fiel mit so spontan kein Ersatzfilm ein, der in meinen Zeitplan für den Abend gepasst hätte. (Die dadurch erzwungene Pause von gut eineinhalb Stunden nutzte ich unter anderem, in der Maschinenhalle diesen Text zu schreiben, zumindest bis einschließlich den ersten beiden Sätzen dieses Absatzes. Den Rest schreibe ich gerade daheim auf dem Sofa, etwa erschöpft, müde und übervollem Kopf. Ach ja, es ist nach Mitternacht, aus den „heute“ muss ich noch „gestern“ machen)

Das Ende vom Lied: Ich hatte meine Karten, eilte zur Theke, eilte mit einem Wein im Glas zum Siebold-Museum und kam zwar knapp, aber doch noch rechtzeitig zu „Time of EVE“. Alles ward gut!

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