Wahlkampf minimal

Ich nicht mal einer Woche ist die Wahl der Oberbürgermeisterin bzw. des Oberbürgermeisters von Würzburg. Am Sonntag, 4. Mai 2025, geht es an die Wahlurnen bzw. die Briefwahlzettel werden ausgezählt. In meinen bald 31 Jahren, die ich in Würzburg lebe, wird das für mich die schwerste OB-Wahl.

Als die Kandidatinnen und der Kandidat nach und nach bekannt gegeben wurde, habe ich bei niemandem gejubelt. So richtig vorstellen, dass sie oder er das Stadtoberhaupt wird, kann ich mir’s bei keinem. Sorry Claudia, Eva, Judith und Martin. Ich halte mich nicht oft mit Was-wäre-wenn-Fragen auf. Aber ein bisschen würde ich doch gerne wissen, ob die Kandidat*innenliste genauso ausgesehen hätte, wenn die Wahl mit viel mehr Vorlauf regulär im März 2026 stattgefunden hätte und nicht so überhastet wie jetzt. Wir werden es nie erfahren.

Aber spätestens am 18. Mai — ich gehe ganz schwer von einer Stichwahl aus — wird es eine oder der eine der Vier sein. Und die oder der wird mit Nachnamen Stamm, von Vietinghoff-​Scheel, Roth-Jörg oder Heilig heißen.

Ich weiß noch immer nicht genau, wen ich wählen soll. Ich konnte für mich schon sehr früh meine persönliche Wahlliste von vier auf drei Personen kürzen. Doch dann wurde es für mich schon schwieriger. Noch vielem Überlegen, Reden und Lesen bin ich noch bei zwei, wobei ich langsam eine Tendenz aufbaut.

Wobei es für mich schon ein komischer OB-Wahlkampf war. Er ging ja nicht lang und zum großen Teil auch im Trubel der ebenso vorgezogenen Bundestagswahl unter. Um mich zu informieren, blieben mir nur die Lokalmedien, ein paar kurze Besuche an Wahlständen, komische Hochglanzflyer im Briefkasten, Wahlplakate mit mal weniger, mal mehr nervigen Motiven und Designs und eine Main-Post-Wahlarena im Youtube-Livestream.

„Und im Internet, hast du vergessen, lieber Ralf“, werdet ihr jetzt sagen, „wie kannst gerade du den digitalen Raum vergessen?“ Hab ich natürlich nicht. Als braver digitaler Bürger dieser Stadt habe ich gleich zu Beginn des Wahlkampfs die Webseiten der drei Kandidatinnen und des Kandidaten besucht und den RSS-Feed abonniert, um auf dem Laufenden zu bleiben, was dort veröffentlicht wird. Ok, zumindest habe ich es versucht.

Auf judith-roth-joerg.de habe ich erst gar keinen RSS-Feed gefunden.
Auf martinheilig.de fand ich einen Feed, aber der ist leer.
Auf eva-von-vietinghoff.de gab es dann tatsächlich einen Feed mit immerhin vier Beiträgen.
Auf claudia-stamm.de gab es für mich erst mal ein abgelaufenes SSL-Zertifikat, aber als ich mich von dort zu tatkraft.com durchgekämpft hatte, wurde ich mit bisher rund 20 öffentlich zugänglichen Beiträgen aus ihrem Wahlkampf belohnt. Naja, belohnt ist übertrieben, es ist natürlich trotz allem einfach Wahlkampfwerbung in einer Einbahnstraße — kommentieren konnte ich da nicht.

Ja, die Online-Aktivität der Wahlkämpfenden findet wohl vorwiegend in den sozialen Medien statt. Aber natürlich nicht in den freien sozialen Medien, wo ich mittlerweile daheim bin, sondern in den großen US-Kommerz-Plattformen, die ich schon längst verlassen habe oder zumindest meide, bis ich auch da für mich das Licht ausgeknipst habe.

Was ich von den Social-Media-Icons auf den Webseiten ablesen kann: Alle vier unterstützen Meta, also Facebook und Instagram. Judith ist als noch auf TikTok, ebenso wie Eva, die dazu noch LinkedIn und Youtube nutzt, Claudia setzt mit zusätzlich Threads völlig auf die Meta-Plattformen. Nur bei Martin finden sich keine weiteren Social-Media-Icons. Dafür macht er allerdings auf eher ungewöhnlichen Plattformen Wahlkampf, wie zum Beispiel heute am Montag eine „Ask-me-anything“-Session auf Reddit (bzw. dem Subreddit r/wuerzburg). Ok, das wird vermutlich nicht auf seinem Mist gewachsen sein, aber trotzdem bemerkenswert. Wobei ich bei ihm als Grünen-Mitglied (auch wenn er überparteilich zur Wahl antritt) etwas enttäuscht bin, dass er das Fediverse wohl gar nicht nutzt, haben die Grünen doch sogar eine eigene Mastodon-Instanz.

Somit zog in meinen Sozialen Medien der OB-Wahlkampf völlig an mir vorbei. Wobei das so schlimm auch nicht ist. Wahlversprechen bei einer OB-Wahl höre ich eh kaum zu — es ist ja nicht so, dass der oder die OB nach der Wahl einfach bestimmen kann, was gemacht wird. Da gibt es noch einen Stadtrat, und der kann sehr launisch sein. Mir geht es mehr darum, wem ich zutrauen kann, Würzburg durch die bestimmt schwierigen nächsten sieben Jahre zu führen, wer die verschiedenen Interessen nach Möglichkeit ausgleichen und zusammenbringen, wer über den Tellerrand schauen kann, wer einen halbwegs verlässlichen moralischen Kompass und dazu passende Rückgrat hat. Wem geht es um eine gelingende und nachhaltige Zukunft für die Stadt, wem geht es um Macht oder eine politische Karriere? Wer kann das Richtige sagen, wenn die passende Zeit dafür ist, wer kann sich zurücknehmen, wenn die passende Zeit dafür ist? Wer lässt niemanden zurück, wer orientiert sich nicht an den vermeintlichen Starken, denen es gut genug geht, sondern an denen in Würzburg, die drohen aus dem Blick zu geraten.

Und noch weiß ich nicht genau, wem ich das alles oder möglich viel davon zutraue. Aber es sind ja noch ein paar Tage Zeit. Am Sonntag mache ich auf jeden Fall ein Kreuz.

4 Gedanken zu „Wahlkampf minimal“

  1. Auf meinem ersten Wahlzettel stand noch Klaus Zeitler und dahinter noch SPD! 🫣 Und soweit ich mich zurück erinnern kann, war auch für mich keine OB-Wahl so schwer. Die beiden Bürgermeister kenne ich von ihrer Amtszeit her, die anderen beiden nur als Namen aus der Zeitung. Und obwohl die Mainpost viel über die Kandidaten geschrieben hat und einen Podcast gemacht hat, kann ich alle vier menschlich immer noch schwer fassen (und ja, auf den Menschen kommt es immer an und in der Lokalpolitik noch mehr). Der Wahlkampf ist aber auch ein Stück weit so professionell geworden, dass man an die Menschen kaum rankommt. In den Interviews in der Zeitung, in den Podcasts der Mainpost: alle vier wissen, wie man sich da verkaufen muss. Das übliche Spiel zwischen Medien und Politik halt. Und genauso ist es mit ihren Social Media Auftritten, ich sehe das bei Facebook und Instagram. Professionelle Fassade, kein Vergleich zu den eher dappigen Auftritten vergangener Wahlkämpfe in Würzburg. Aber halt auch nur ein berechnetes Fischen um Zielgruppen.

    Ich prangere hier an, dass du nicht wieder den Podcast mit den OB-Kandidaten gemacht hast. Diese nichtjournalistische sondern sehr menschliche Herangehensweise hätte besonders in diesem Jahr vielen bei ihrer Entscheidung geholfen. So bleibt einem nur die Qual der Wahl und das nicht unbedingt positiv. Zum Glück hat sich Frau Roth-Jörg mit ihrer Anschwärzaktion selbst aus dem Rennen gekegelt (meiner Meinung nach), aber drei bleiben trotzdem noch. Und beim Wahlprogramm (Wahlversprechen sehe ich wie du Ralf, als peinliche Bauernfängerei) unterscheiden die sich bei den großen Themen halt nicht so groß. Ich schwanke immer noch zwischen den anderen drei. Vielleicht wird die Entscheidung erst in der Wahlkabine fallen.

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  2. Danke für diesen informativen Artikel, da scheint noch Luft nach oben zu sein, was die Nutzung nichtkommerzieller Sozialer Medien für lokalpolitische Zwecke betrifft. Jetzt mal superhöflich formuliert.

    Gruß vom Netz-Methusalem (eigene Homepage seit 5. Juni 2000)!

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