Wem gehört eine Stadt?

Ein Augsburger Blogger reserviert sich die Domain „augsburgr.de“, fragt sogar bei der Stadt Augsburg nach, ob die was dagegen hat, und erhält von eben dieser Stadt eine Abmahnung, bei der schon die Anwaltkosten sich auf knapp 2.000 € belaufen. Die Aufregung im Netz war groß, die Stadt Augsburg ist (deswegen?) heute zurückgerudert und hat die Abmahnung zurückgenommen — aber sie fühlt sich noch im Recht.

Neben dem Image- und PR-Desaster für die Stadt Augsburg, neben dem unsäglichen Abmahnrecht und auch neben jeglichem juristischen Namens- und Markenrecht — was passiert da eigentlich?

Hat eine Stadtverwaltung das alleinige Nutzungs- und Vergaberecht am Stadtnamen? Wohlgemerkt, es ging nicht um die Domain „augsburg.de“, da kann ich noch verstehen, dass die Kommune diesen selbst nutzen will. Aber augsburgr.de? Eine web-zwei-nullige Verkürzung von dem Wort „Augsburger“? Der Blogger ist Augsburger Bürger, ein inhaltlicher Zusammenhang zwischen der Person und dem Domainnamen ist also erfüllt. Dürfen Bürger, Firmen, Organisationen nicht von sich aus den Stadtnamen verwenden? Denn wenn es bei Augsburgr anfängt, dann hört das bei der Augsburger Allgemeinen auf? Darf diese Zeitung sich so nennen? Augsburger und auch noch ganz allgemein? Darf die Domain „ich-in-augsburg.de“ (noch frei) nur dem Augsburger Oberbürgermeister zugesprochen werden? Wird der Stiftung „mein-augsburg.de“ jetzt die Planung eines Putschversuchs unterstellt?

Schon wurde beim Twitter-Account der Stadt Würzburg nachgefragt, wie das in Würzburg gehandhabt werden würde und es kam die rechtsunverbindliche Antwort:

Namensrecht ist wichtig!! Manchmal ist aber etwas mehr Fingerspitzengefühl besser als die Holzhammer-Methode…:)

Aber es geht mir gar nicht um die Wahl der Methoden, sondern um das moralische Recht, den Namen einer Stadt zu verwenden. Der Anspruch des Rathauses auf den Namen Würzburg hört bei mir bei wuerzburg.tld bzw. würzburg.tld auf. Bin ich der Gnade des Stadtrats ausgeliefert, um den phonetisch ähnlich klingenden Domainnamen wuerzblog.de verwenden zu dürfen? Sagt die Stadtverwaltung zu unser-wuerzburg.de „Nein, das ist nicht euer Würzburg, das ist unseres“? Oder der-wuerzburger.de? Muss Vogel Media jeden Tag zitternd zum Briefkasten gehen und hoffen, dass eine Abmahnung der Stadt die Portkasse plündert? Man muss nur mal die Würzblog-Linkliste durchgehen und findet etliche Domainnamen, die nach Augsburger Rechtsempfinden bedenklich wären.

Augsburg den Augburgrn, Würzburg den Würzburgern. Augsburg, Würzburg und andere Stadtnamen sind neben Marken auch eben einfach auch Ortszeichnungen, auf die man sich beziehen darf. Oder dürfen muss. Egal in welchen Zusammenhang. Auch wuerzburg-ist-scheisse.de (auch noch frei) muss von der Stadt ertragen werden — in Bezug auf das Wort Würzburg, nicht unbedingt in Bezug auf die Beleidigung. Genauso wie wuerzburg-ist-die-beste-stadt-auf-der-ganzen-welt.de (ebenfalls noch frei). Und ich fühle mich absolut im Recht, ein Blog unter dem Namen wuerzblog.de zu betreiben. Ich bin seit 15 Jahren Bürger der Stadt Würzburg, mit Freud und Leid. Und darauf darf ich ja wohl in dem Domainnamen Bezug nehmen.

Vielleicht war der Vorfall mal nötig um den Stadtverwaltungen wieder vor Augen zu führen, dass sich die Welt seit der Wappen-und-Wachssiegel-Zeit geändert hat. Und die Emanzipierung der Bürger auch.

11 Gedanken zu „Wem gehört eine Stadt?“

  1. Wahnsinn, was sich Städt so alles einbilden. Augsburg hat hier völlig überzogen reagiert und wenn so schnell externe Berater kostenpflichtig eingesetzt werden sollte vielleicht einmal der Bund der Steuerzahler die Bücher kontrollieren. Ich habe auch einmal nachgeschaut wer sich wuerzburg-online.de registriert hat: Siehe da, die Mainpost. Rein rechtlich schwer bedenklich, wenn das Augsburger Bespiel um sich greift.

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  2. Die Stadt führt sich in diesem Falle auf, als wäre sie ein eigenständiges Lebewesen, welches unabhängig von den Bürgern als ein abstraktes Etwas agiert. Doch ohne Einwohner keine Stadt, keinen Namen und kein Leben überhaupt. Dass einer, durch den unter vielen anderen nun die Stadt zur Gemeide, zu einem Lebnsraum wird, sich mit dem Namen seiner momentanen Heimat verbindet, ist nur legitim. Und vor allem: First come, first serve… Muss sich die Stadt halt vorher alles sichern, was ihr an Namensspielen mit ihrer Ortsbezeichnung einfällt…

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  3. Typisch Städte. Die haben doch net alle Tassen im Schrank. Selbst schaffen sies net ne ordentliche Präsenz im Internet zu bieten und handelt mal einer privat ohne iwelche bösen Absichten, kommt ne Klage. Wo leben wir hier eigentlich?!
    Bin ganz deiner Meinung, Ralf!
    Demnächst ruft Bob Geldof bei Alex an 😀

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  4. @Marcus „Augsburgr ist denke ich eher an den schwäbischen Dialekt angelehnt…“

    Ich denke „Augsburgr“ ist eher an den (längst vergangenen?) „R“-Trend, auch Vowel Dropping genannt, angelehnt: flickr, tumblr,talkr usw….

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  5. FULL ACK!!!! Ortsnamen sind und bleiben neben Marken einfach Bezeichnungen für einen Ort oder eben für Personen(gruppen). Und die muss man, auch in Wort und Satzkombinationen verwenden dürfen. Und das Adjektiv „moralisch“ finde ich hier durchaus angemessen, wobei ich @Marcus zustimme: Juristen scheißen darauf! 😉

    BTW: Ich bin über netzpolitik auf dieses Blog gekommen; das ist ja großes Kino hier was ihr hier abzieht. Ich bin schon etwas durch die Seiten gesurft: hier geht ganz schön was ab. Das Radio ist auch geil! 🙂 Ich als Dortmunder (Dortmundr 😉 werde richtig neidisch! 😉

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  6. Augsburgr ist denke ich eher an den schwäbischen Dialekt angelehnt, wenn auch nicht konsequent, spricht sich doch der Augsburger „augschburgr“ aus…das hielt man in WÜ aber vielleicht für einen betrunkenen Ascheberscher…

    Dein Begriff „mora­li­sche Recht“ ist lustig. Recht ist da, um Ordnung zu schaffen, nicht Gerechtigkeit. Recht und Moral sind also zwei Begriffe, die leider überhaupt nichts miteinander zu tun haben. Was du meinst, ist wohl „Menschenverstand“, am besten noch in seiner „gesunden“ Variante oder am Ende sogar als Verbündeter des sog. „Fingerspitzengefühl(s)“. Aber das sind alles Begrifflichkeiten die im juristischen Bereich eher als störende Randerscheinungen gehandhabt werden…

    Ich bin auch für brennende Rathäuser und Aufklärung 2.0 🙂

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