Die abgeschnittene Zeitmaschine

Im Theater war ich schon länger nicht mehr. Ohne bösen Willen, um so mehr war ich froh, dass es mich am Karsamstag in das Theater Ensemble auf dem Bürgerbräu-Gelände getrieben hat. Gespielt wurde „Die Zeitmaschine“ von H. G. Wells — und ich gebe zu, in Bühnenumsetzungen von phantastischer Literatur treibt es mich nochmal mehr.

Das Stück im Theater Ensemble hielt sich meiner Meinung nach recht eng an den Roman aus dem Jahr 1895 (den kann man übrigens im Projekt Gutenberg nachlesen, er ist auch nicht sehr lang). Der namenlose Zeitreisende erzählt von seiner Reisen in das Jahr 802.701, von der Weiterreise in eine noch viel weitere Zukunft und die Reise zurück in Zeit zu Beginn des Romans, vermutlich Ende des 19. Jahrhunderts — diese Jahreszahl wird im Roman komischerweise nicht genannt. Genauer gesagt erzählt ein ebenso namenloser Erzähler von den Erzählungen des namenlosen Zeitreisenden und genau so war es im Theaterstück auch.

Der Zeitreisende nach seiner Rückkehr, die Professorin beginnt seine Erzählungen aufzuschreiben.

Die Szene im Londoner Haus des Zeitreisenden lässt sich natürlich noch gut auf einer Theaterbühne darstellen. Hier erklärt der Zeitreisende seinen Gästen, dass er eine Zeitmaschine baut. Der Zeitreisende, der von zwei Schauspielern dargestellt wird. Einmal als der Zeitreisende, der gerade die erzählte Handlung erlebt, und einmal als der Zeitreisende, der die Zeitreise bereits beendet hat und das Geschehen aus seiner Perspektive kommentiert. Zumindest habe ich mir das zu zusammengereimt und fand das als netten Kniff der Inszenierung.

Die Zeitreise fand ich auch minimalistisch gut gemacht, mit viel Gewackel auf einem Stuhl und einer Projektion des Zeitreisenden dahinter, während der Zeitreisende erzählt, wie er die Reise erlebt. Überhaupt wurde viel erzählt. Sehr viel. Im Grunde war das Stück zum allergrößten Teil ein Monolog des Zeitreisenden — vielleicht wurde es darum auf zwei Rollen aufgeteilt, damit jeder der beiden Schauspieler weniger Text lernen muss. Trotzdem, großer Respekt von meiner Seite an Michael Gumpert und Jonas Pfeuffer (der auch noch Regie führte) alleine schon für diese enorm große Textmenge. Das haben sie wirklich gut hinbekommen. Muss man halt mögen.

Jonas Pfeuffer und Michael als der zurückgekehrte und der aktuelle Zeitreisende.

Nach einer guten halben Stunde gab es schon die Pause. Danach ging es im Jahr 802.701 weiter und mit den zarten und unbeschwerten Eloi. Die waren nur hinter einem Vorhang zart und schemenhaft zu sehen und der Zeitreisende (in beiden Versionen) sprach über ihr Verhalten und was er dort erlebte. Und philosophierte ganz gesellschafts- und wissenschaftsoptimistisch über die durch Vernunft, Wissenschaft und Technik wundervolle Zukunft der Menschheit.

Und dann hörte das Stück auf.

Ja, tatsächlich. Die Erzählerin beendete ihre Erzählung, ich weiß gar nicht mehr genau wie. Ich war einfach zu irritiert, dass das Theaterstück hier enden soll. Und das Licht im kleinen Theatersaal ging an. Im Roman war das vielleicht gerade mal die Hälfte der Handlung. Und gerade diese optimistische Hypothese des Zeitreisenden über die Zukunft der Menschheit, mit der das Stück endete, sollte sich ja als fatal falsch herausstellen, die im Roman wenig unterschwellige Gesellschaftskritik funktioniert ohne die Morlocks nicht.

Nun habe ich mich natürlich als mittelmäßig erfahrener Theatergänger gleich gefragt, ob ich etwas verpasst oder nicht verstanden habe. Gab es einen Subtext, der mir zu sub war? Habe ich in den langen Monologen die entscheidende Textpassage nicht mitbekommen, die dieses abrupte Ende erklärt hätte? Soll der Zuschauer bewusst diesen Bruch erleben und verarbeiten? Ging einfach nicht mehr Text in die Köpfe der Schauspieler — ich könnte es verstehen — und es wird irgendwann mal „Die Zeitmaschine Teil 2“ geben? Musste jemand aus dem Ensemble früher gehen oder wurde plötzlich krank? Ein Riss im Raum-Zeit-Kontinuum? Kann ja alles sein. Ich hatte für mich keine Antwort, nur ein etwas unbefriedigtes Gefühl, meinem Theater-Team ging es ähnlich.

Was schade war, denn bis dahin gefiel mir das Stück ganz gut und man hätte daraus viel machen. Sicher war die Well’sche Kritik an der Gesellschaft, Technik und Wissenschaft im Jahr 1895 aus einer ganz anderen Situation heraus, aber vieles davon kann und sollte heute noch zum Nachdenken anregen, in der aktuellen Zeit vielleicht so sehr wie schon lange nicht mehr.

Im Theater Ensemble macht „Die Zeitmaschine“ erst mal Pause, aber ab 6. Juni 2025 läuft das Stück dort wieder. Ich tue mir etwas schwer mit einer Empfehlung, aber auch schwer damit, euch davon abzuraten.

Danke ans Theater Ensemble für die spontane Erlaubnis, Fotos machen zu dürfen — ich habe natürlich gefragt. Auch wenn es nicht leicht war, ein paar Schnappschüsse sind dabei doch rausgekommen.

6 Gedanken zu „Die abgeschnittene Zeitmaschine“

  1. Hallo und vielen Dank für deine coole Rezension – war richtig schön, sie zu lesen!

    Zur Konzeption des Stücks: Am Anfang stand tatsächlich die Überlegung im Raum, ob ich als Regisseur eine klassische Zwei-Stunden-Fassung machen solle. Ich hatte aber schnell das Gefühl, dass so ein Format der inhaltlichen und stilistischen Komplexität von H. G. Wells nicht gerecht wird. Deshalb haben ich mich für ein episodenhaftes Konzept entschieden. Es sollte ein Zweiteiler werden. Gerade weil das Buch für mich seinen eigentlichen Höhepunkt nicht unbedingt in der Handlung, sondern in den tieferliegenden gesellschafts- und erkenntniskritischen Gedanken erreicht.

    Was ich an der Vorlage besonders spannend finde, ist, dass sich unter dem wissenschaftlich-technischen Aufbau noch eine zweite Ebene verbirgt – eine sozialpsychologische, fast schon sozioanalytische Dimension. Diese wollten ich vor allem in der ersten Episode anreißen, allerdings eher subtil, eben so, wie auch Wells es im Original macht: beiläufig, nicht belehrend. Das Stück ist deshalb so angelegt, dass man viele Aspekte vielleicht erst bei mehrfacher Auseinandersetzung mit Buch, Theater oder Film erkennt.

    Inhaltlich habe ich mich dabei eng an den Originaltext gehalten – allerdings in der Fassung des Anaconda-Verlags, die ich sprachlich runder finde als die bei Gutenberg. In dieser Version wird auch das 19. Jahrhundert kurz erwähnt 😉

    Zur Figurengestaltung: Die beiden Zeitreisenden stehen meiner Konzeption nach nicht nur für ein Vorher und Nachher, sondern auch für zwei emotionale Seiten derselben Figur – eine rationalere und eine impulsivere. Mir ging es darum zu zeigen, wie jemand, der in seiner Kindheit soziale Verunsicherung erlebt hat, später zwischen Überanpassung und Überreaktion schwankt – und was das möglicherweise auch beim Gegenüber (oder evtl. direkt beim Zuschauer) auslöst. Der Zeitreisende lässt sich mal zu viel gefallen, mal geht er zu weit – aber er findet nie ganz in die Mitte. Gerade das war für mich zentral: zu zeigen, wie ihm eine innere Orientierung fehlt, ohne diese Unausgeglichenheit zu pathologisieren.

    Gleichzeitig war es mir wichtig, auch die andere Seite mitzudenken – also das Umfeld. Denn der Umgang mit jemandem, der sich so verhält, kann herausfordernd sein. Trotzdem wollten wir betonen, wie entscheidend es ist, diesem Menschen – also den „Zeitreisenden“ – nicht vorschnell zu verurteilen, sondern ihm mit Verständnis und Offenheit zu begegnen, auch wenn das manchmal schwerfällt. Der Prolog und Szene 2 greifen genau diese unterschiedlichen Perspektiven auf.

    Die Aufteilung der Rolle hatte also vor allem eine konzeptionelle Funktion – und war keine Folge von Textlernproblemen. 😉

    Zudem wurde das Stück bewusst an dieser Stelle beendet, weil sich im philosophischen Monolog selbst bereits ein leiser Zweifel mittransportiert. Obwohl die Worte teilweise hoffnungsvoll klingen, wird direkt davor und danach mehrfach angedeutet, dass „die Menschheit im Stadium ihres Verfalls“ steckt und dass „falsche Theorien das gerne sind“. Auch wenn der Text sich rhetorisch erhebt, bleibt diese Ambivalenz im Raum. Für mich war das ein guter Moment, einen Gedanken offen stehen zu lassen, ohne ihn durch ein finales Bild zu bestätigen oder zu widerlegen.

    Nochmals vielen Dank für deine differenzierte und wertschätzende Auseinandersetzung – das bedeutet mir wirklich viel. Ich hatte leider noch nicht die Gelegenheit, dich persönlich kennenzulernen. Vielleicht ergibt sich das ja noch bei einem weiteren Besuch – ich würde mich auf jeden Fall sehr freuen, wenn du nochmal vorbeischaust. Vielleicht ergibt sich dann ja ein direktes Gespräch.

    Antworten
  2. Die Produktion war von einigen schwierigen Umständen begleitet und wäre beinahe gar nicht zur Aufführung gekommen. Ursprünglich war tatsächlich eine Fortsetzung konzipiert, um genau die angesprochene fehlende Morlock-Geschichte weiterzuerzählen. Das ist jetzt – angesichts der oben erwähnten Umstände – nicht mehr in Planung. Die Besprechung von Ralf Thees – Danke für die stimmungsvollen Fotos übrigens – ist der Anlaß, daß wir die Produktion jetzt mit dem Hinweis „Fragment“ versehen, dann wird es weniger Verwirrung geben und vielleicht sogar dazu führen, zum Text oder den Verfilmungen zu greifen.
    Andreas Büettner,
    Leiter Theater Ensemble

    Antworten

Erwähnungen

Schreibe einen Kommentar

Webmentions

Um auf deiner eigenen Website zu antworten, gib die URL deines Beitrags ein, der einen Link zur Permalink-URL dieses Posts enthalten sollte. Deine Antwort wird dann (ggf. nach einer Moderation) auf dieser Seite angezeigt. Möchtest du deine Antwort aktualisieren oder entfernen? Aktualisiere oder lösche einfach deinen Beitrag und trage die URL deines Beitrags erneut ein. (Mehr über Webmentions erfahren.)